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In Niederösterreich wird das Ausmaß der Flut langsam sichtbar. Manche erzählen, wie sie buchstäblich um ihr Leben gelaufen sind, andere stehen vor den Trümmern ihrer Existenz. Rust im Tullnerfeld. Das Wasser ist weg. Die Verzweiflung da. Ein junger Landwirt in Gummistiefeln kommt mit seinem Tretroller in die durchnässte Garage seines Nachbarn gefahren. „Ich hab alles verloren“, sagt er und bricht in Tränen aus. Der Nachbar umarmt ihn und versucht zu beruhigen. „Wir helfen zusammen. Das wird schon.“ Doch die Verzweiflung des jungen Landwirten ist zu groß. „Mir kann man nicht mehr helfen. Das wird nicht mehr.“ Man versteht die Verzweiflung, wenn man seine Geschichte hört.

Der junge Landwirt aus Rust im Tullnerfeld (Bezirk Tulln) war im Stall, als am späten Sonntagnachmittag das Wasser kam. Bis zum wenige Meter entfernten Wohnhaus zurück hat er es mit seiner Frau nicht mehr geschafft. Die Kinder haben geschrien. Das Paar hat zwei Stunden auf der Heubühne ausgeharrt und den Tieren darunter beim Kampf gegen das Wasser zugesehen. Bis zum Hals ist es den Rindern gestanden. „Ich wusste nicht, dass die schwimmen können“, sagt der Landwirt. Der Schock sitzt tief. Doch die Familie lebt. Vieles ist aber verloren. Das wird am Dienstag, bei der Rückkehr in den am Montag (wegen einer neuerlich erwarteten Welle) evakuierten Ort, klar. Die Hochwasserlage hat sich in Niederösterreich über Tage zugespitzt. Mittlerweile sind fünf Todesopfer zu beklagen. Eine 81-jährige Frau starb in Würmla (ebenso Bezirk Tulln) in ihrem gefluteten Wohnhaus. Es waren meist nicht die großen Flüsse, die für die Fluten sorgten, sondern die kleinen Bäche, die zu reißenden Strömen wurden. Allein am Montag hat es 21 kleinere und größere Dammbrüche in Niederösterreich gegeben.

Eine davon auch an der Perschling in Rust im Tullnerfeld. Dort ist alles schnell gegangen. Innerhalb weniger Minuten ist das Wasser gestiegen. Ein reißender Bach ging durch den Geburtsort des einstigen Bundeskanzlers Leopold Figl (ÖVP). Das sieht man auf den Handyvideos eines Bauern und Feuerwehrmannes. Auch er wurde vom Wasser überrascht. Der Mann ist am Sonntag von seinem Haus im Ortskern nur ein paar Meter in Richtung Kirche gegangen, um sich anzusehen, wie sich die Wassersituation entwickelt. Wenige Augenblicke später musste er laufen. Noch bevor er zurück zu seinem Hof kam, ist ihm das Wasser oben in die Gummistiefel geronnen. „Ich wäre schon fast selber dasoffen.“ Niemals hätte er das erwartet. Bei anderen Hochwassern war er selbst als Feuerwehrmann im Einsatz. In der eigenen Gemeinde werde es so etwas nie geben, dachte er, „doch es gilt das elfte Gebot: Man soll sich nicht täuschen.“

### Hoffen auf Unterstützung

Die Kirchengasse hat es besonders erwischt. Im Gotteshaus selbst steht neben der Erntedankkrone noch das Wasser. In der Gasse parken Feuerwehrautos, so weit das Auge reicht. Hier wird das Wasser aus den Kellern und Wohnbereichen gepumpt, der Schlamm weggeschaufelt und das durchnässte Mobiliar vor die Gebäude gestellt. Vor der Bäckerei Galler stehen ein völlig verschlammter Kinderwagen, ein Hochstuhl und ein ganzer Müllcontainer mit kaputten Dingen. „Ich muss mich niedersetzen, sonst trifft mich der Schlag“, sagt Seniorchefin Andrea Galler und nimmt ihr Enkerl an der Hand. Fünf Häuser besitze ihre Bäckerfamilie im Ort. Bewohnbar ist nun kein einziges mehr. Im Geschäft klebt überall der Schlamm, im Wohnhaus schwimmen einem die Weihnachtskugeln schon beim Eingang entgegen, und in der Backstube kommt das Wasser aus den Schubladen. „Es ist einfach alles hin.“ Andrea Galler räumt die Flutschäden weg. Die Presse/Neuhauser Den Schaden kann in der Gemeinde noch keiner beziffern. Man hofft auf Hilfen. „Wir hoffen, dass die richtigen Leute kommen und uns unterstützen“, sagt Galler und zeigt sich zugleich aber nicht allzu zuversichtlich: „Ich bezweifle ja, dass das bei dem Ausmaß reichen wird.“ Auch sie zückt das Handy. Auf den Zeitcodes der Videos kann man nachvollziehen, wie schnell hier das Wasser gestiegen ist, innerhalb weniger Minuten stand es bis zum Fenster und drang von dort ein. Zeit, um Dinge wegzubringen, war keine mehr. Das neue Auto steht überflutet in der Garage, das Fahrzeug des Nachbarn wurde an den Gartenzaun geschwemmt und ist dort neben zahlreichen Heuballen zum Stehen gekommen. „Wir haben Glück, dass das Wasser am Nachmittag kam. Wir haben es kommen sehen. Wer weiß, was in den Abendstunden oder der Nacht passiert wäre“, sagt Galler.

### Tausende Schweine tot

In Rust wurde die Gefahr eines neuerlichen Dammbruchs im Lauf des Dienstages mithilfe des Bundesheers gebannt. Der Ort war – anders als zahlreiche andere – wieder mit dem Auto erreichbar. Gekommen sind hierhin auch zahlreiche Feuerwehrmänner aus Tirol. Sie helfen bei den Aufräumarbeiten. Zu tun gibt es unheimlich viel, erzählt auch Stefan Öllerer, der als Pressesprecher des Bezirksfeuerwehrkommandos Tulln vor Ort ist. Manche Häuser sind stark beschädigt. Wie etwa jenes, bei dem der Kellerraum, in dem die Pellets zum Heizen gelagert waren, quasi explodiert ist. Die Pellets dehnten sich in den Wassermassen aus, die Kellerwände hielten dem Druck nicht stand. Nun hängen Erd- und Obergeschoße quasi in der Luft. Die Bewohner bangen um das Gebäude. Besonders betroffen sind hier im Tullnerfeld auch die Bauern. Viele Felder stehen noch immer unter Wasser, die Kürbisse schwimmen, wie auch bei der Ortseinfahrt von Rust, in den neu entstandenen Seen. Doch auch unzählige Tiere sind in den Fluten qualvoll zu Tode gekommen. In einem Nachbarort von Rust wurde, wie Öllerer erläutert, ein Aussiedlerhof von den Wassermassen getroffen. Die 2500 Schweine darin kamen zu Tode.

### Mit dem Schlauchboot geholt

Am Dienstag entspannte sich die Situation in Niederösterreich nach und nach. Die Fassungslosigkeit blieb aber in vielen Orten. So auch in Böheimkirchen. Dort traf das Wasser den Nikolaushof am Sonntag mit einer Wucht, die sich niemand vorstellen konnte. „Ich bin sprachlos. Es ist alles weg“, sagt Jakob Nährer zur „Presse“, und die Fassungslosigkeit ist in seiner Stimme zu hören. Wie erklärt man auch, dass man vor den Trümmern seiner Existenz steht? Der Nikolaushof liegt neben der Perschling, einem Nebenfluss der Donau. Seit mehr als zehn Jahren betreibt die Familie Nährer einen Pferdeeinstellbetrieb: Einen moder­nen Bewegungsstall, wo sich die Pferde frei bewegen konnten, sowie eine Landwirtschaft. Bis die Perschling über das Ufer trat. „Wir haben über zwei Meter Wasser auf der Straße gehabt. Im Stall waren es drei Meter“, sagt Nährer.

Im Bauernhaus wohnen vier Generationen. Großmutter, Vater, Bruder und Jakob Nährer mit seiner Familie. „Im Haus ist das Wasser 1,8 Meter im Keller gestanden.“ Nährer ist selbst bei der Feuerwehr. Bis fünf Uhr früh hätten sie am Sonntag noch versucht, Wasser herauszupumpen, nach­dem der Damm bei der Perschling gebrochen ist. Irgendwann war dann klar: Es geht nicht mehr. „Ich bin dann rauf zu den Kindern und der Frau“, sagt er. „Dann mussten uns die Kollegen mit dem Schlauchboot holen.“ Zuerst die Großmutter, dann den Vater, schließlich den Rest der Familie. Die Pferde waren schon davor im Nachbarstall untergebracht wor­den.

„Fangen von vorn an“

Am Montag haben die Nährers angefangen aufzuräumen, nur um am Nachmittag wieder zu pausieren, weil das Wasser wieder gestiegen ist. „Und jetzt fangen wir wieder von vorn an“, sagt Nährer und schweigt für einen Moment. Das Wasser hat der Familie nicht nur die Wohnung, auch die Existenzgrundlage genommen. „Es ist alles weggeschwemmt“, sagt Nährer. „Einen neuen Pferdestall wird es so schnell nicht mehr geben. Das kann ich mir nicht vorstellen.“ Ein halbes Jahr, schätzt er, werden die Aufräumarbeiten dauern. Jetzt muss die ganze Familie zuerst einmal das Wohngebäude mit den vier Wohneinheiten wieder bewohnbar machen. Die Wohnungen gehören ausgeräumt. Die Heizung ist kaputt. Zum Glück gibt es viele Helfer. „Irgendwie werden wir das schaffen“, sagt er. Ein paar Kilometer entfernt in Obergrafendorf ist Florian Hartl mit seiner Familie glimpflicher davongekommen. Wenn auch hier „der Keller bis unter die Decke geflutet war“. Das Wasser kam „bei uns hauptsächlich von außen. Nach einem Dammbruch ist es über eine Schneise den Berg heruntergeronnen“, sagt er. Schnell, eine kleine Flutwelle. Dabei kann ein Haus einerseits auch von den Fluten verschont werden und dabei trotzdem unter Wasser stehen.

Im Haus seiner Eltern ist das so. Dort wurde der Keller wegen des gestiegenen Grundwassers und des überlaufenden Kanals geflutet. „Beides hat es herausgedrückt, wie bei anderen auch.“ Das Trinkwasser müssen alle in der Siedlung derzeit jedenfalls aus Sicherheitsgründen abkochen.

Zum Glück sei das Wasser in seinem Haus nicht bis in den Wohnbereich hinaufgekommen. Trotzdem ist der Schaden da. Die Heizung ist betroffen, Waschmaschine, Trockner und natürlich auch das Warmwasser. Aber es geht nicht nur um den materiellen Schaden.

„Wir haben im Keller alles Mögliche gestapelt. Auch Sachen mit emotionalem Wert.“ Fotoalben, Souvenirs von Reisen, „was man über die Jahrzehnte angesammelt hat“. Das zu entsorgen, sei einfach „eine bittere Geschichte“, sagt er.

Derzeit versucht Hartl ohnehin, nicht zu viel über die Situation nachzudenken. „Es irgendwie auszublenden.“ Und sich in Erinnerung zu rufen, dass es „noch viel schlimmer hätte kommen können“. „Und bei anderen auch noch viel schlimmer gewesen ist“. So ein Hochwasser wie jetzt, „das hat es jedenfalls noch nie gegeben.“ A resident cleans the pavement from mud after flooding in Grabensee, Tullnerfeld, Lower Austria, Austria on September 17, 2024. High winds and unusually heavy rainfall have hit swathes of Austria, the Czech Republic, Hungary, Poland, Romania and Slovakia since Friday. The rains have flooded streets and submerged entire neighbourhoods in some places, while shutting down public transport and electricity in others. (Photo by Alex HALADA / AFP) APA / AFP / Alex Halada